Zwillingsträchtigkeit bei der Kuh

Zwei Kälber statt eines

Zwillingsträchtigkeiten im Kuhstall nehmen in den letzten Jahren zu.

Ursachen für Zwillinge: Doppelter Eisprung

Über 95% der Zwillinge bei Rindern sind zweieiig.

  • Ihr Ursprung liegt in einem zweifachen Eisprung (Doppelovulation) während der Brunst.
  • Regelmechanismen, die eigentlich dafür sorgen, dass in der Brunst nur ein Bläschen (Follikel) heranreift, haben nicht funktioniert.
  • Man kann daher eine Zwillingsträchtigkeit durchaus als eine «Fruchtbarkeitsstörung» ansehen.

Wie andere Geschwister

Zweieiige Zwillinge haben nicht das identische Erbgut. Nur eineiige Zwillinge, bei denen sich ein Embryo teilte, sind genetisch identisch.

Eventuell ein Pärchen

Zweieiige Zwillinge können deshalb verschiedenen Geschlechts sein. 

Was funktioniert bei Zwillingsträchtigkeiten nicht?

In jeder Brunst beginnen mehrere Eizellen zu reifen. Allerdings unterdrückt normalerweise die «dominante» Eiblase das Wachstum der anderen Eizellen über komplizierte hormonelle Regelmechanismen.

Sie ist ihnen zeitlich in der Entwicklung voraus. Warum diese Selektion bzw. die zeitliche Differenz in der Entwicklung manchmal nicht richtig funktioniert, ist bis jetzt nicht abschliessend geklärt.

Welche Faktoren entscheiden, dass eine Kuh mit Zwillingen trächtig wird?

Kühe mit gewissen «Vorbelastungen» scheinen häufiger zu Doppelovulationen und somit zu Zwillingen zu neigen:

Hohe Leistung

Innerhalb einer Herde sind es oft die hochleistenden Kühe, die mit Zwillingen trächtig sind.

Kurze Rastzeit

Bis sich die Regelmechanismen zur Eizellselektion zu Laktationsbeginn eingespielt haben, dauert es einige Zeit. Besamt man schon früh nach der Geburt, erhöht sich das Risiko für Zwillinge.

Ältere Kühe

Je älter die Kuh, umso höher das Risiko für eine Zwillingsträchtigkeit – das ist bei Frauen übrigens auch so. 

Familiäre Häufung

In manchen Kuhfamilien kommen Zwillinge häufiger vor. Die Selektionsmechanismen auf den Eierstöcken scheinen hier anfällig für Störungen zu sein. 

Physiologischer Faktor: Progesteronmangel

Es wird in der Wissenschaft vermutet, dass vor allem ein Mangel am Gelbkörperhormon Progesteron vor der Brunst, das Heranreifen von mehreren statt nur einer Eizelle begünstigt.

Man liest verschiedene Theorien, woher ein solcher Progesteronmangel kommen könnte:

Beschleunigter Leberstoffwechsel

Theorie 1:
Durch den hohen Stoffumsatz bei hoher Milchleistung steigt der Durchsatz in der Leber. Steroidhormone wie Progesteron werden dadurch verstärkt abgebaut.

Entzündungen im Körper

Theorie 2:
Bei entzündlichen Prozessen sind Prostaglandine ein Teil der körpereigenen Abwehr. Dieses Hormon reduziert aber auch die Produktion von Progesteron im Gelbkörper.

Pansenübersäuerung

Theorie 3:
Im übersäuerten Pansen sinkt die Konzentration von Essigsäure. Diese wird zur Synthese von Steroidhormonen wie Progesteron oder Östrogen benötigt.

Energiedefizit

Theorie 4:
Die Bildung eines Gelbkörpers, der viel Progesteron produzieren kann, braucht eine gute Durchblutung und viel Energie. Im Energiedefizit funktioniert beides nicht.

Wie erkennt man, dass eine Kuh Zwillinge erwartet?

Oft ist die Diagnose einer Zwillingsträchtigkeit eher ein Zufallsbefund bei einer Trächtigkeitsuntersuchung.

Wegen der genaueren Diagnosemöglichkeiten gelingt dies am besten mit einer Ultraschalluntersuchung. 

Zwei Gelbkörper

Bei einer manuellen TU geben zwei fühlbare Gelbkörper auf dem Eierstock einen Verdacht auf eine Zwillingsträchtigkeit.

Zwei Gelbkörper im Ulrtaschall

Mit dem Ultraschall findet man die beiden Gelbkörper bei einer Zwillingsträchtidgkeit eindeutiger als nur durch Fühlen beim Touchieren.

Zwei Föten

Bei einer TU mit Ultraschall lassen sich bei einer Zwillingsträchtigkeit manchmal beide Föten darstellen. 

«Twinline»

Manchmal lässt sich, dort wo sich die Eihäute der beiden Föten überlagern, auch eine hochechogene, weisse Linie («Twin Line») im Ultraschallbild darstellen. 

Unsere Empfehlung

Praxis-Tipp

Notiere unbedingt von jeder Kuh, von der Du weisst, dass sie mit Zwillingen tragend ist, dass sie mit Zwillingen tragend ist!  

Sie gehört ab sofort in die Risiko-Gruppe «Zwillingsmütter»

Vorgeschichte beachten!

Speziell bei Kühen, die bereits Zwillinge zur Welt brachten oder selbst ein Zwilling waren, empfiehlt es sich bei einer TU mit Ultraschall nach einer (erneuten) Zwillingsträchtigkeit zu suchen.  

Unsere Empfehlung

2021 bzw. 2022 fand eine Schweizer Arbeitsgruppe QTLs (Bereiche in der DNA) von Holstein - bzw. Braunvieh-Kühen, die ein höheres Risiko für Mehrlingsgeburten bedeuten.

Warnsignale für Zwillinge

Wird die Zwillingsträchtigkeit nicht bereits bei der Trächtigkeitsuntersuchung gefunden, gibt es anschliessend nur noch vage Hinweise, dass die Kuh mit Mehrlingen trächtig sein könnte – oder schliesslich bei der Geburt eine (böse) Überraschung.

Grosser Leib Hochträchtigkeit

Verdächtig für eine Zwillingsträchtigkeit sind Kühe mit dickem Bauch und grossem Volumen. – Sie können natürlich auch «nur» verfettet sein.

Schlechtere Persistenz

Da die beiden Kälber viel Energie aus der Kuh «saugen», bricht die Milchleistung bei der Mutter oft schneller ein als in normalen Laktationen. – Das kann natürlich aber auch «nur» an der Futterqualität etc. liegen.

Verkürzte Trächtigkeitsdauer

Beginnen der Milcheinschuss und andere Geburtsanzeichen deutlich vor dem eigentlichen Termin, sind daran oft Zwillinge schuld. Durch den Platzmangel ist hier die Trächtigkeit oft kürzer als normal. 

Mehr als zwei Beine

Lassen sich unter der Geburt mehr als zwei Beine im Geburtskanal feststellen, ist der Verdacht gross, dass es sich um mehr als ein Kalb handelt. Für irgendwelche Prophylaxemassnahmen ist es jetzt allerdings zu spät.  

Folgen einer Zwillingsträchtigkeit für die Kuh

Höheres Risiko für eine Frühgeburt

Da Platzverhältnisse und Versorgung der Föten bei Zwillingsträchtigkeiten enger sind, ist die Stress-Schwelle bei der die Kälber die Geburt auslösen meist früher erreicht und die Trächtigkeitsdauer daher oft verkürzt.

Höheres Risiko für Schwergeburt

Zwillinge, die in jeweils einem Horn der Gebärmutter (bilateral) ausgetragen werden, treten manchmal gleichzeitig in den Geburtskanal ein. Oft muss man dann bei der Geburtshilfe die Beine und Köpfe zueinander sortieren und zunächst einen Zwilling aktiv wieder zurückschieben, damit beide geboren werden können.

Höheres Risiko für Nachgeburtsprobleme

Nach Zwillingen bleibt die Nachgeburt oft hängen. Eventuell ist die Gebärmutter überdehnt und kann die Eihäute nicht lösen oder die Trächtigkeit ging vorzeitig zu Ende und die Ablösungsprozesse waren noch nicht abgeschlossen.

Höheres Risiko für Gebärmuttererkrankungen

Die Gebärmutter wird bei einer Zwillingsträchtigkeit sehr gross. Dementsprechend ist der Energieaufwand für ihre Rückbildung nach der Kalbung hoch. Manchmal kommt es dort zu anhaltenden Entzündungsprozessen und Erkrankungen.

Schlechtere Futteraufnahme vor der Geburt

Die beiden Kälber haben in der Hochträchtigkeit einen hohen Energiebedarf. Die Kuh muss diesen über ihren Stoffwechsel decken und braucht eigentlich einen noch stärkeren Futterverzehr als in einer Einlingsträchtigkeit. Allerdings hat ihr Pansen weniger Platz, da dieser von ihren Kälbern zusammengedrückt wird.

Stoffwechselbelastung vor dem Abkalben

Durch die verminderte Futteraufnahme und den hohen Energieverbrauch rutscht die Mutter von Zwillingen oft schon vor der Geburt ins Energieloch – nicht erst, wenn die Laktation wieder voll einsetzt.

Folgen einer Zwillingsgeburt für die Kälber

Höheres Abortrisiko

Aus der Humanmedizin weiss man, dass vor allem eineiige Zwillinge ein höheres Abortrisiko haben, da Blutgefässe und/oder Eihäute sich ungünstig miteinander verbinden können.
Manchmal wird einer der beiden Zwillinge über- und der andere unterversorgt, was zum frühen Absterben von einem oder beiden führt.

Höheres Totgeburtsrisiko

Auch zu einem späteren Zeitpunkt kommt es bei Zwillingen häufiger dazu, dass einer oder beide absterben und tot geboren wird. Die Ursache bleibt meist unklar – möglicherweise ein Versorgungsproblem.
Auch Geburtsstörungen selbst können zur höheren Totgeburtsrate führen. 

Risiko für unreife Kälber

Je früher die Geburt beginnt, umso geringer ist die Überlebenswahrscheinlichkeit der Kälber.

Vor dem 270. Trächtigkeitstag ist die Überlebenschance leider nur noch gering.

Kälbersterblichkeit

Verschiedene Studien weisen darauf hin, dass die Sterblichkeit von Kälbern aus Zwillingsgeburten statistisch gesehen erhöht ist - ohne auf die Gründe dafür näher einzugehen.

Kürzeres Leben

Eine Kanadische Studie zeigt, dass Kälber aus einer Zwillingsgeburt durchschnittlich eine kürzere Lebenserwartung haben als Einlinge. Insbesondere, wenn die Zwillinge nur ein geringes Geburtsgewicht hatten. 
Ausnahmen bestätigen die Regel!

Siamesische Zwillinge

Ist die Teilung im Embryonalstadium bei eineiigen Zwillingen unvollständig, bleiben die Körper der Föten miteinander verbunden (Siamesische Zwillinge). Da bereits eineiige Zwillinge bei Rindern selten sind, ist dieses Phänomen bei ihnen absolute Ausnahme. Hin und wieder gibt es Kälber mit zwei Köpfen.

Sonderfall: Zwicken

Bei 98% verschiedengeschlechtlichen Rinderzwillingen («Pärli», männlich-weiblich) kommt es zu einer Zwicke (Freemartin):

Die Zwillingsschwester ist unfruchtbar. Ihre Geschlechtsorgane sind unterentwickelt.

Verbundenen Blutgefässe

Die Blutgefässe zwischen den Eihäuten von Rinderzwillingen sind miteinander verbunden und nicht vollständig voneinander getrennt.

Blutaustausch

Über diese Verbindungen kommt es während der Fetalentwicklung zu einem Blutaustausch zwischen den Zwillingen.

Falsche Zellen

Es setzen sich männliche Zellen, die XY-Geschlechtschromosomen tragen, im späteren Knochenmark des Kuhkalbs und weibliche Zellen, die ein XX-Chromosom tragen, im Stierkalb ab.

Unterdrückte Entwicklung

Männliche Botenstoffe, Eiweisse und Hormone (Anti-Müller-Hormon), die von den XY-Zellen stammen, unterdrücken schon früh die Entwicklung der weiblichen Geschlechtsorgane – auch in der Zwillingsschwester.

Bereits in der Frühträchtigkeit

Auch wenn der männliche Zwilling im Lauf der Trächtigkeit absterben sollte, kann die Entwicklung der weiblichen Geschlechtsorgane bereits gestört sein, da sie schon im sehr frühen Trächtigkeitsstadium (ca. 6. Woche) beginnt. 

Keinen Schaden beim Bruder

Die weiblichen Zellen im männlichen Zwilling richten dagegen weniger Schaden an. Es ist allerdings möglich, dass Stiere, die eine Zwillingsschwester haben, schlechtere Spermaqualität haben.

Nur beim Rind

Bei anderen Tierarten oder in der menschlichen Plazenta sind die Blutgefässe weniger stark verzweigt und haben keine Querverbindungen untereinander. Ein Austausch von Zellen gibt es hier nur bei eineiigen Zwillingen, die aber immer dasselbe Geschlecht haben.

Zwicken verhindern

Der Einsatz von gesextem Samen (z.B. SeleXYon) reduziert die Gefahr der Zwickenbildung erheblich – allein, weil über 90% der enthaltenen Spermien weiblich (X) sind. 

Ziele bei Zwillingsmüttern

Kühe, die während der Trächtigkeitsuntersuchung als Zwillingsmütter gefunden werden, solltest Du

Früher galt stellen

Da mit einer kürzeren Trächtigkeit gerechnet werden muss, lautet die Empfehlung Kühe, die bekanntermassen Zwillinge erwarten, 10 Tage früher als üblich trocken zu stellen.

Früher anfüttern

Aus demselben Grund sollten diese Kühe entsprechend früher wieder auf die Ration der Laktierenden umgestellt werden.

«In Watte packen»

Zwillingsmütter sind in der Hochträchtigkeit oft schwerfällig und haben zum Teil einen enormen Körperumfang. Ihr Platzbedarf ist daher besonders gross. Sie brauchen einen optimalen Kuhkomfort.

Bestmöglich versorgen

In der Hochträchigkeit mit Zwillingen ist der Energie-, Mineralstoff-, und Spurenelementbedarf besonders hoch. Eine Versorgung mit entsprechenden Boli (z.B. Curatop ®) stellen ihre Versorgung sicher.  

Geburt überwachen

Je besser Du den Geburtsbeginn im Auge behältst, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass beide Kälber überleben und die Kuh weniger Stress unter der Geburt hat.
Achte frühzeitig, auf die entsprechenden Anzeichen.  

Fressverhalten im Blick behalten

Da Zwillingsmütter oft bereits im Energiedefizit abkalben, ist ein rasches Eingreifen mit stoffwechselunterstützenden Präparaten angezeigt.

Ziele bei Zwillingskälbern

Weisst Du vorab, dass eine Kuh mit Zwillingen trächtig ist, kannst Du Dich auch auf die Versorgung der Kälber besser vorbereiten.

Doch auch im Überraschungsfall brauchen vor allem «vor der Zeit» geborene Zwillinge oft mehr Zuwendung.

Erste Hilfe

Rüste dich für Erste Hilfe-Massnahmen (Wassereimer, Stroh, evt. Atempumpe vorbereiten…). So steigen die Chancen, dass Du die Neugeborenen im Notfall retten kannst.

Biestmilch

Biestmilch ist für Zwillingskälber natürlich ebenso wichtig wie für Einlinge. Je unreifer die Kälber sind, umso mehr Geduld braucht es in der Regel, sie zum Trinken zu überreden. 

Vorsicht mit Drenchen

Manche Kälberexperten empfehlen Biestmilch generell zu drenchen, wenn Kälber nicht von selbst trinken. Achtung: Für zarte Frühgeborene können die Drenchbestecke grenzwertig gross sein.

Blutabnahme für Zwickentest

Bei einem Pärchen lässt sich durch ein Bluttest 100%ig feststellen, ob der weibliche Zwilling eine Zwicke ist. Denn die männlichen Zellen lassen sich auch nach der Geburt molekularbiologisch finden.

Praxis-Tipp: Viele Kühe im Bestand mit Zwillingen – was tun?

  • Für Zwillinge vorbelastete Familien identifizieren und diese Kühe mit Ultraschall auf Trächtigkeit untersuchen lassen.
  • Längere Rastzeit bis zur ersten Besamung einhalten.
  • Auf ausreichende Energieversorgung achten
  • Strukturversorgung sicherstellen
  • Progesteronwert bei Kühen aus vorbelasteten Familien während eines Zyklus per Blutprobe bestimmen lassen.
    Bei Progesteronmangel kann von aussen zugeführtes Progesteron (z.B. über intravaginale «Spiralen») das Zwillingsrisiko senken.
    Dieses Vorgehen mit Hoftierarztpraxis besprechen!