Frühzeitig gute Biestmilch tränken

Kälber sind ungeschützt

Kälber kommen ohne körpereigene Abwehrstoffe (Immunglobuline – IgGs) zur Welt. Sie müssen diese unbedingt mit der ersten Biestmilch aufnehmen. Ihre zukünftige Gesundheit hängt stark davon ab, wieviel hochwertige Biestmilch sie in den ersten Lebensstunden zu sich nehmen oder aber nicht.

Der IgG-Gehalt sinkt

Je schneller Du die Kuh nach dem Kalben melkst, umso besser ist in der Regel die Qualität der Biestmilch. Insbesondere der Gehalt an Immunglobulinen (IgGs) sinkt sehr schnell, wenn Du lange wartest. Das Einsetzen der Milchproduktion verdünnt die Biestmilch stündlich.

14 Stunden nach dem Kalben ist der Gehalt an IgGs z.B. bereits um ein Drittel gefallen.

Nachgeburt löst durchs Melken

Die alte Theorie, dass die Nachgeburt abgegangen sein sollte, bevor man die Kuh melkt, ist Quatsch. Das Gegenteil ist der Fall: Da die Kuh beim Melken das Hormon Oxytocin ausschüttet, löst sich die Nachgeburt leichter. Denn durch das Oxytocin zieht sich die Gebärmutter noch einmal zusammen.

Saubere Milch

Du solltest Biestmilch unbedingt sauber ermelken. Das heisst: Hände waschen und die Zitzen der Kuh gründlich reinigen. Pass auf, dass nicht unnötig Stroh und Staub in die Milch fallen. Je mehr Bakterien in der Milch sind, umso schlechter kann der Darm Deines Kalbs arbeiten.

Eine Studie aus Deutschland zeigt, dass insbesondere die Milchkannen mit denen die Biestmilch ermolken wird, häufig mit sehr, sehr vielen Keimen belastet sind. Dann wird oft Biestmilch mit deutlich mehr als 100.000 coliformen Keimen (KbE)/ml an die neugeborenen Kälber vertränkt - also höher keimbelastet als es in Anlieferungsmilch erlaubt wäre. Die negativen Auswirkungen auf die Kälbergesundheit liegen auf der Hand. Milchkannen, mit denen Biestmilch gewonnen wird, müssen daher nach jeder Nutzung gründlich mit Spülmittel gereinigt werden - nur ausspülen mit Wasser reicht nicht ! Am besten wird für die andere Sperrmilch des Betriebs eine separate Milchkanne verwendet.

Zwei Liter in zwei Stunden

Gute Biestmilch enthält 50 mg IgGs pro ml. Ein Kalb sollte in den ersten beiden Lebensstunden mindestens 100 g IgGs aufnehmen – also im Minimum zwei Liter Biestmilch von guter Qualität. Die amerikanische Dairy Calf and Heifer Association empfiehlt als Faustregel für die Biestmilch-Menge, den Kälbern 10% ihres Körpergewichts in den ersten beiden Lebensstunden zu tränken.

Dieses Kälbersignal zeigt Dir, ob die Biestmilchversorgung Deiner Kälber stimmt.

Faustregel: 10 % des Körpergewichts in den ersten beiden Lebensstunden tränken.

Eine Woche schützen

Die IgGs der Biestmilch müssen das Kalb solange vor Infektionen schützen (passive Immunisierung) bis sein eigenes Immunsystem ausreichend entwickelt ist. Dies dauert ca. 7 bis 10 Tage.
Haben Kälber zu wenig IgGs über die Biestmilch bekommen, sind sie ungeschützt.

Sofort versuchen

Am besten versuchst Du bereits nach einer halben Stunde, ob Du das Kalb zum Saugen überreden kannst.

Praxis-Tipp:

Landwirt Claude erzählt: Ich schiebe meinen Kälbern immer wieder den Sauger des Tränkeeimers zwischen die Kiefer und bewege ihn langsam auf seiner Zunge vor und zurück. Wenn das Kalb am Nuggi nicht zu saugen beginnt, schiebe ich ihm Zeige- und Mittelfinger ins Maul. Ich bewege sie leicht bis der Saugreflex einsetzt. Manchmal brauch ich viel Geduld und Hartnäckigkeit. Aber ein gesundes Kalb ist mir den Zeitaufwand wert.

Der Zeitpunkt ist nicht egal

Die alte Annahme, dass es keine Rolle spielt, wann ein Kalb die Biestmilch trinkt („Hauptsache: In den ersten 24 Stunden“), ist falsch!

Der Kälberdarm kann je länger desto weniger IgG aufnehmen – die Darmschranke für die grossen IgG-Moleküle schliesst sich zunehmend und lässt sie bereits nach einem Tag gar nicht mehr hindurchtreten.

Ohne Saugreflex?

Kälbern ohne Saugreflex kann die Biestmilch mit einem Schlauch eingegeben (gedrencht) werden.

In der internationalen Presse wird dies als sichere und einfache Massnahme angepriesen. Doch ganz unkritisch ist sie nicht: Gerätst Du mit dem Schlauch in die Luftröhre des Kalbs oder verletzt es im Rachenraum, ist der Schaden grösser als der Nutzen. Du musst also unbedingt wissen wie und was Du tust!

Insbesondere Drench-Bestecke mit starrem Stab, sind für Kälber ungeeignet. Denn ihr Rachenraum ist nicht gerade, sondern gekrümmt. Ein weicher Gummischlauch ist daher viel schonender für das Tier.

Betriebe, die neugeborene und kranke Kälber drenchen, benötigen unbedingt separate Drench-Bestecke für beide Gruppen.

Geduld und Zeit

Die Methode mit viel Geduld das Kalb zum Trinken zu bewegen ist auf alle Fälle die tierschonendere - braucht aber mehr Zeit.

Praxis Tipp:

Landwirt Claude erzählt weiter: Den ganz Hartnäckigen und Trinkfaulen streue ich ein wenig Zucker auf die Zunge. Das löst oft den Saugreflex aus.

 

 

Häufig trinkschwache Kälber?

Hast Du im Betrieb häufig trinkschwache Kälber, kann das an ein Zeichen für einen Selen-Mangel sein. Sprich Deinen Hoftierarzt darauf an!

Auch Kälber mit Schmerzen trinken schlecht. Daher sind lebens- und trinkschwache Kälber auch häufig hausgemachte Resultate unsachgemässer Geburtshilfe. Eine grobe Geburtshilfe oder das Herunterfallen des Kalbs bei einer Geburt im Stehen (womöglich noch auf die Kante des Kurzstands) enden dann darin, dass es die Biestmilch nicht trinkt.

Dieses Kälbersignal zeigt Dir, dass Dein Kalb lebenstüchtig ist

 

 

 

Auch Mutterkuh-Kälber versorgen

Über die Hälfte der Kälber von Mutterkühen oder bei muttergebundener Aufzucht trinken erstaunlicherweise nicht selbst ausreichend Biestmilch direkt aus dem Euter. Experten empfehlen daher einen Teil der Biestmilch abzumelken und per Saugflasche kontrolliert zu tränken. Insbesondere, wenn im Betrieb Kälberkrankheiten grassieren.

Dieses Kälbersignal gibt Dir Hinweise, was Du beachten musst, wenn Du das neugeborene Kalb bei der Kuh lässt.

Für Darmentwicklung

Biestmilch enthält nicht nur IgGs sondern auch andere Stoffe, die für die frühzeitige Entwicklung des Verdauungs- und des Immunsystems während der ersten Lebenswoche wichtig sind: U.a.

  • Wachstumsfaktoren,
  • Peptid- und Steroid-Hormone,
  • Zytokine 
  • viele Vitamine. 

Je länger mit Biestmilch weiter getränkt wird, umso besser.

Kontakt mit vorherrschenden Keimen

Je mehr Kontakt zu den betriebseigenen Keimen die Kuh hatte, von der die Biestmilch stammt, umso breiter sollte das Kalb geschützt sein. Kühe, die schon lange in Deinem Bestand sind, haben daher eine zu den vorherrschenden Krankheitserregern in Deinem Betrieb passendere Biestmilch.

Hochtragend zugekaufte Kühe oder Rinder, die neu im Kuhstall sind, sollten sich mindestens drei Wochen lang mit der Keimflora dort auseinandersetzen können, bevor sie kalben. 

Je älter die Kuh umso besser?

Das bedeutet aber nicht automatisch, dass alte Kühe die bessere Biestmilchqualität produzieren. Neue Untersuchungen zeigen, dass das nicht automatisch der Fall ist.

Es gibt auch alte Kühe, die nur wenig IgGs in der Milch haben. 

Impfung gegen Kälberprobleme

Problembetriebe können die Biestmilch ihrer Kühe gezielt mit IgGs gegen die Erreger von Kälberkrankheiten anreichern, indem sie ihre Galtkühe impfen (Muttertierimpfung).

Die geimpften Kühe bilden spezifische IgG, die Kälber, nachdem sie diese Biestmilch getrunken haben, vor den Erkrankungen schützen. Damit dies funktioniert, sollten zuerst die Problemkeime im Kälberstall nachgewiesen und dann der dazu passende Impfstoff ausgewählt werden.

Durchmelken oder galt stellen

Neue Untersuchungen zeigen, dass es für den IgG-Gehalt der Biestmilch keine Rolle spielt, ob Du die Kuh vor dem Kalben trocken stellst oder durchmelkst.

Genetische Komponente

Derzeit überprüfen Genetiker, ob eine gute Biestmilch-Qualität vererblich ist - ob es eine genetische Veranlagung für oder gegen eine hohe IgG-Konzentration in der ersten Biestmilch einer Kuh gibt.

Farbe der Biestmilch

Die Farbe der Biestmilch sagt nichts über ihren IgG-Gehalt. Je gelber die Milch ist, umso höher sind die Inhaltsstoffe bzw. ihr Energiegehalt.

Wenn Du sicher sein willst, dass Du nur Biestmilch mit mindestens guter Qualität vertränkst, solltest Du diese direkt überprüfen!

Milch euterkranker Kühe

Euterkranke Kühe haben nie eine hochwertige Biestmilchqualität. Bei Euterentzündungen sind dagegen massenhaft Erreger in der Biestmilch enthalten. Solche Milch sollte daher nie vertränkt werden.

Qualitätsbestimmung

Am einfachsten geht die Qualitätsbestimmung mit einem optischen Refraktometer. Dieses Gerät wird häufig im Weinbau verwendet. Es ist stabil und die Milchtemperatur spielt für die Analyse keine Rolle. Es ist für den praktischen Einsatz im Kuhstall besser geeignet wie die früher empfohlenen Biestmilchspindeln (Kolostrometer), die sehr zerbrechlich sind und nur Milch mit einer Temperatur von 22°C korrekt analysieren.

Brechungsindex der Milch

Für die Analyse gibst Du mit einer Pipette einige Tropfen Biestmilch auf die Prisma-Linse des Refraktometers und schliesst den Deckel des Geräts. Wenn Du jetzt gegen das Licht schaust, siehst Du eine Übergangslinie zwischen weiss und blau. Sie durchläuft einen bestimmten Wert für ihren Brechungsindex in %Brix, der sich einem bestimmten IgG-Gehalt zuordnen lässt.

 

%Brix

IgG-Gehalt

Qualität

< 19,9 %

< 25 g/l

schlecht

20 - 21,9 %

25 bis 49,9 g/l

mässig

22 - 27 %

50 bis 105 g/l

gut

> 27 %

> 105 g/l

sehr gut,

Milch kann eingefroren werden

 

 

Analyse per Smartphone

Eine neue Lösung zur direkten Bestimmung der IgGs im Kolostrum (oder auch im Blutserum) bietet ein Schnelltest, der via Handykamera plus Smartphone-App digital in ein Labor übermittelt und dort analysiert wird.

Cross-Check im Kälberblut

Sind die IgGs durch die Darmwand ins Blut des Kalbs übergetreten, sollten dort spätestens sechs Stunden nach der Geburt min. 10 mg/ml nachweisbar sein. Bei Kälberproblemen in Deinem Betrieb, kann Dein Tierarzt mit einer Blutprobe überprüfen, ob Du diesen Soll-Wert erreichst.

Viele Neugeborene im Betrieb

Praxis-Tipp:

Betriebe, die viele neugeborene Kälber und viel Biestmilch aufs Mal haben, können mit einem guten Tränke-Management ihre Kälbergesundheit optimieren: 

Das 1. und 2. Gemelk jeder Kuh jeweils mit dem Refraktometer messen und der Qualität entsprechend verwenden:

Milch mit > 22 % Brix als 1. Mahlzeit vertränken
Milch mit < 22 % Brix als 2. – 4. Mahlzeit verwenden – Reste evtl. im Kühlschrank aufbewahren. Ist dort 3-4 Tage haltbar
Milch mit > 27 % Brix (wenn nicht direkt benötigt) als Notreserve einfrieren

Auf Reserve einfrieren

Es lohnt sich, Biestmilch sehr guter Qualität (> 27 %Brix) und speziell die geimpfter Kühe einzufrieren und als Notreserve aufzubewahren. Hat man doch immer mal zu wenig Biestmilch oder eine euterkranke Kalbekuh. Beim Einfrieren und Auftauen von Biestmilch gibt es einige Tipps zu beachten, denn das kann nervenaufreibend sein: Sie gerinnt sofort, wird sie zu stark erwärmt!

Beim Einfrieren bereits ans Auftauen denken

Praxis-Tipp

  • Kleine Portionen (0,5 -1 Liter) in Gefrierbeuteln oder PET-Flaschen einfrieren. Sie tauen schneller wieder auf.
  • Liegend gefrorene Beutel sind flacher und tauen deshalb rascher wieder auf. Sie laufen im Gefrierschrank aber auch leichter aus, wenn man sie nur mit einem Gummiring verschliesst.
  • Im Wasserbad bei max.  45° C (Thermometer benutzen !) erwärmen – für einen Liter braucht es ca. eine Stunde. Beutel währenddessen öfters mal durchkneten.
  • Schneller taut Biestmilch in einem Topf bei maximal mittlerer Hitze auf - dann aber ständig (!) rühren.
  • In der Mikrowelle: Auf niedrigster Stufe unter häufigem Umrühren bzw. Kneten des Gefrierbeutels

Beratungsartikel (PDF)

Zusammengefasst kannst Du Dir den Inhalt dieser Seite als Toro-Beratungsartikel downloaden:
Mehr als eine warme Mahlzeit 04/2018.

 

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Wir wünschen: viel Spass und viel Erfolg!