Die Kuh mit Urin in der Scheide – Die Senkscheide (Urovagina)
Ein See aus Urin
Eine Senkscheide entsteht, wenn der Urin aus der Harnröhre nicht wie von der Natur vorgesehen nach aussen abfliesst. Liegt die Harnröhrenöffnung vor dem höchsten Punkt der Scheide (also kopfwärts), fliesst der Urin Richtung Gebärmutter. Er sammelt sich vor dem äusseren Muttermund und reizt die Scheidenschleimhaut stark. Da Urin und Entzündungsprodukte den Samen schädigen, werden viele Kühe mit Senkscheiden nur schlecht tragend. Gänzlich unfruchtbar sind sie, sobald der Urinsee den Muttermund bedeckt und die scharfe Flüssigkeit in die Gebärmutter eindringen kann.
So zeigt sich die Senkscheide
Was ist normal?
Die Harnröhre, die den Urin aus der Blase ausleitet, mündet im Scheidenvorhof (Vestibulum) der Kuh. Da eine Kuh den Rücken beim Harnabsatz nach oben krümmt, läuft dieser nach aussen ab. Dies funktioniert aber nur vollständig, wenn der höchste Punkt in der Scheide vor (kopfwärts) dem Ausgang der Harnröhre liegt.
Was funktioniert bei Kühen, mit Senkscheide nicht?
Bei Kühen mit Senkscheiden liegt der Ausgang der Harnröhre vor (kopfwärts) dem höchsten Punkt des Scheidenvorhofs.
Ihr gesamter Geschlechtsapparat hängt nach vorne-unten und zieht die Scheide ebenfalls in diese Richtung. Dadurch läuft zumindest ein Teil des Urins in Richtung Muttermund und staut sich dort am Scheidenboden. Die Kuh kann diesen Flüssigkeitssee nicht selbstständig entleeren. Die Scheidenschleimhaut entzündet sich (Vaginitis). Da auch After und Scham mit nach vorne gezogen werden, sinken diese von aussen betrachtet, ein.
Welche Faktoren begünstigen Senkscheiden?
Es gibt zwei unterschiedliche Gründe, warum der Geschlechtsapparat nach vorne-abwärts (z.T. bis in die Bauchhöhle) abrutscht:
Warnsignale für Senkscheiden
Um die definitive Diagnose „Senkscheide“ stellen zu können, braucht es eine vaginale Untersuchung mit einem Scheidenrohr (Spekulum).
Es gibt allerdings einige Warnsignale, die auf eine Senkscheide hinweisen:
Die Kuh hat:
- einen eingefallenen After bzw. eine eingesunkene Scham
- ein gestelltes Becken
- eine schwache Lende
- einen schlechten Scheidenschluss
- bereits wiederholt umgerindert
- rauchigen bis eitrigen Ausfluss
- eine vergrösserte Gebärmutter, die nicht mehr unter der Hand versammelbar ist
- in Vergangenheit bereits einen Überwurf vor oder während der Geburt gehabt
Während der rektalen Untersuchung durch Tierarzt oder Besamer oder bei der Besamung geben sich weitere Hinweise:
- Es ergiesst sich ein Schwall Urin, sobald die Hand in den Enddarm eingeführt wird.
- Ein Besamungsgerät, das in die Scheide eingeführt wird, zeigt schräg nach vorne-unten
Checkliste
Diese Warnsignale sind in der Checkliste Senkscheide (pdf) zusammengefasst und zum Download bereitgestellt.
Verkettete Exterieur-Merkmale
Seit einer Arbeit der HAFL aus dem Jahr 2004 ist das Bewusstsein unter den Züchtern für die Abhängigkeit der Exterieur-Merkmale „Beckenlage“, „obere Linie“ und die „Lage der Schamlippen“ gestiegen: Kühe mit gestelltem Becken haben sehr viel häufiger eingefallene Schamlippen als Kühe mit „gutem“ Exterieur.
Seit einiger Zeit gehen dank Zuchtselektion und richtiger Anpaarung die Kühe mit ansteigenden Becken deutlich zurück.
Praxis-Tipp: Kühe im Bestand mit ansteigenden Becken – was tun?
Sire Analyst Andreas Bigler sagt: „Kühe mit ansteigenden Becken werden seltener – sie sind heute kaum noch ein grosses Thema. Es ist gelungen, dieses Merkmal durch die richtigen Anpaarungen in den letzten Jahren zu verbessern. So haben wir heute mehr korrekte Becken bei unseren Kühen als noch vor 15 Jahren. Für mich ist für die Anpaarungsempfehlung entscheidend, ob eine Kuh mit ansteigendem Becken trotzdem gut trächtig wird oder nicht - denn es gibt unter ihnen durchaus auch solche mit guter Fruchtbarkeit. Bei diesen empfehle ich einen Stier mit guter Beckenvererbung einzusetzen. So können auch diese Kühe korrekte Töchter züchten. Kühe, die dagegen Fruchtbarkeits- oder Abkalbeprobleme haben, empfehle ich, konsequent mit Fleischrassenstieren zu besamen. Dadurch kann man direkt auf eine bessere Fruchtbarkeit im Betrieb hinwirken.“
Wie erkennt man, dass eine Kuh Urin in der Scheide hat?
Wie schlimm eine Senkscheide ist, wieviel Urin sich dort angesammelt hat, wie stark die Schleimhaut gereizt ist, kann man nur durch eine vaginalen Untersuchung mit dem Spekulum sicher sagen.
Die Kuh besamen oder nicht?
Um eine Aussage über die Besamungstauglichkeit einer Kuh zu machen, ist eine Abgrenzung wichtig: Handelt es sich „nur“ um eine Entzündung der Scheide (Vaginitis) oder ist die Gebärmutter mitbetroffen (Endometritis).
- Kühe mit Vaginitis sind bedingt besamungstauglich. Eine Besamung mit sanitarischer Überzugshülle kann versucht werden.
- Kühe mit Endometritis sind nicht besamungstauglich. Es besteht keine Aussicht, dass sie tragend werden.
furchtbar fruchtbar
Wer Kühe mit Senkscheide besamt, braucht ab und an frische Socken :-) und immer einen guten Plan - So wie der Besamer von Kuh Rivella, deren Geschichte das furchtbar fruchtbar im Toro (05/2019) erzählt.
Wie unterscheiden?
Um die Frage „Noch einmal besamen, oder nicht?“ beantworten zu können, braucht es also eine Unterscheidung: Ist nur die Scheide oder sind Scheide und auch die Gebärmutter entzündet?
Ziele bei Kühen mit Senkscheide
Die Besamung von Kühen mit Senkscheiden hat immer reduzierte Erfolgsaussichten. Sie sind maximal bedingt besamungstauglich. Denn Urin und Entzündungsprodukte schädigen das Sperma. Wenn Du dich trotzdem für eine Besamung entscheidest, dann mit sanitarischer Überzugshülle.
Staut sich viel Urin in der Scheide und die Gebärmutter ist mitbetroffen, sind die Chancen dennoch gegen Null! Da Senkscheiden in den allermeisten Fällen eine genetische Komponente haben, sollten diese Kühe aus züchterischen Gesichtspunkten eigentlich nur mit Mast-Stieren belegt werden.
Chirugischer Eingriff
Manche Rindertierärzte bieten die chirurgische Korrektur von Senkscheiden an. Hierbei wird am Übergang von Scheidenvorhof und Scheide - also kopfwärts des Ausgangs der Harnröhre – eine Rundum-Naht (Vestibulo-vaginale Cerclage) mit selbst-auflösendem (resorbierbarem) Nahtmaterial eingezogen. Dadurch verstärken sie zum einen der Scheidenschluss der Kuh und heben zum anderen ihren Scheidenboden an. Der Urin wird in die richtige Richtung abgeleitet. Die Fruchtbarkeit der operierten Kühe verbessert sich. Ob diese Korrektur nachhaltig auch nach der nächsten Abkalbung bestehen bleibt, ist umstritten. Trotz allem sollten auch diese operierten Kühe nicht zur Weiterzucht genutzt werden.