Kälbergrippe – eine Faktorenkrankeit
40% der Erkrankungen von Kälbern in den ersten drei Lebensmonaten betreffen die Atemwege. So eine aktuelle Studie aus der Schweiz (Lüthi et al., 2021).
Meist haben die Kälber in dieser Untersuchung eine Vorgeschichte «Zukauf».
Wirtschaftliche Verluste und Leistungseinbussen durch Atemwegserkrankungen sind von Rindermästern und kälberhaltenden Milchviehbetrieben gleichermaßen gefürchtet.
Saisonal im Herbst und Winter
In der Schweiz kommen in der feucht-kalten Jahreszeit (Oktober bis März) die meisten Kälber zur Welt. Zu einer Zeit, wenn die Luftfeuchtigkeit hoch und die Temperaturen nieder sind.
Dieser Fakt ebnet der Grippe im Kälberstall den Weg.
Hohes Risiko
Warum sind Kälber für Erkrankungen der Atemwege so anfällig?
Verlauf
Rindergrippe verläuft typischerweise in mehreren Stadien:
Symptome der Kälbergrippe
In den unterschiedlichen Krankheitsphasen haben die Kälber unterschiedliche Symptome.
Phase 1 - Phase der Virusinfektion
Nur durch eine gezielte Beobachtung und Temperaturkontrolle sind kranke Tiere schon jetzt zu entdecken.
Phase 2 - Phase der bakteriellen Übernahme
Bauchatmung und starker Husten
Sie pumpen mit dem ganzen Körper. Die Bauchmuskulatur am Rippenbogen ist gespannt. (Pfeile)
Kälbersignale für «5 vor zwölf»
Ohne Behandlung verschlechtert sich der Zustand der Tiere oft rapide – manchmal leider auch, wenn der erste Therapieversuch versagt.
Jetzt muss es zackig und gezielt gehen, will man ihr Leben retten:
Diagnose bei «5 nach zwölf»
Bei der Sektion verendeter oder euthanasierter Grippe-Kälber zeigen sich typischerweise:
dunkelrote, entzündete und verschwartete, mit Bindegewebe durchsetzte, Bezirke, in den Spitzenlappen der Lunge (vorne an der tiefsten Stelle).
Solche Organe sind nicht mehr belüftet - und erklären die hochgradige Atemnot.
Oft haben solche Lungen auch ein Emphysem.
Spätfolge: Kümmerer
Überlebt das Kalb die Grippeerkrankung, so sind Spätschäden wahrscheinlich.
Je länger die Erkrankung dauert, desto unwahrscheinlicher wird die vollständige Ausheilung der Lungenschäden.
Viele Rinder kümmern deshalb infolge einer Infektion der Atemwege.
Wirtschaftliche Spätfolgen
Doch auch weniger offensichtliche Spätfolgen werden berichtet:
Unsere Empfehlung
Ein „Grippedurchmarsch“ wirkt in einer Herde auf längere Zeit nach, das zeigten Studien aus Kanada (Stanton et. al., 2012):
Erstgeburt?
Rinder ohne Grippeerkrankung während der Aufzucht haben mit höherer Wahrscheinlichkeit einen leichteren Geburtsverlauf als Rinder, die im Laufe der Aufzucht an Grippe erkrankten.
Beteiligte Faktoren
Faktor Stallluft
Die Qualität der Stallluft ist im Grippegeschehen bei Kälbern ein entscheidender Faktor.
Wie Kälber stattdessen gut unterbringen?
Aussenklimahaltung oder Warmstall, Einzelhaltung oder Gruppenhaltung von klein an?
Eine erfolgreiche Kälberaufzucht lässt sich grundsätzlich in verschiedenen Stallvarianten realisieren.
Mit vielen Kälbersignalen und guten Beispielen zeigen wir Dir auf unserer Seite «Kälber halten», wie Du das passende System für Deinen Betrieb finden kannst.
Faktor Stress
Stress fürs Kalb, wirkt sich immer negativ auf die Immunabwehr aus.
Dabei erleben die Tiere auch Stressursachen, die für uns gar nicht immer offensichtlich stressig sind – zum Beispiel:
Faktor Immunitätslücke
Zwischen der 4.-6. Lebenswoche haben Kälber eine «Immunitätslücke»:
Jetzt nehmen die Abwehrstoffe, die sie durch die Biestmilch erhalten haben, ab. Ihr eigenes Immunsystem ist aber noch nicht vollständig entwickelt.
Daher sind sie in dieser Zeit besonders krankheitsanfällig.
Stressige Situationen solltest Du jetzt vermeiden.
Faktor Hygiene
Aber wie kommen die Erreger eigentlich zum Kalb?
Diese Keime sind überall. Es kommt darauf an, wie hoch der Infektionsdruck ist:
Hat es viele Keime in der Umgebung, können sie das Kalb befallen. Vermehren sie sich in dessen Organismus, werden sie stärker als sein Immunsystem. Das Tier erkrankt.
Hygiene und Biosicherheit auf Deinem Betrieb sind deshalb wichtige Faktoren nicht nur -aber auch- bezüglich der Kälbergrippe.
Therapie der Kälbergrippe
Langfristig hilft einem Problembetrieb nur die Verbesserung der Tierhaltung, sowie seiner externen und internen Biosicherheit.
Arzneimittel dagegen brechen nur die Spitze der Grippeproblematik – und retten Einzeltiere.
Spätestens wenn das Kalb offensichtlich krank ist, muss ohne Wenn und Aber der Tierarzt oder die Tierärztin her:
Leitkeime finden
Problembetriebe, die immer wieder mit Rindergrippe kämpfen, sollten unbedingt die beteiligten Keime und deren Resistenzen kennen.
Das heisst:
Gleich zum Start der Grippesaison, noch vor Medikationsbeginn, von frisch-erkrankten Tieren in der viralen Phase Proben ziehen lassen.
Nasentupfer
Mit Nasentupfern kann man die beteiligten Keime eingrenzen.
Allerdings gibt es in der Nasenhöhle auch Mikroorganismen, die nicht wirklich das Krankheitsgeschehen in der Lunge verantwortlich sind.
Spülprobe
Über einen Einstich in die Luftröhre kann man eine Spülprobe direkt aus der Lunge gewinnen.
Das ist aufwändiger als Nasentupfer, weist die Erreger aber direkter nach.
So lassen sich passende Antibiotika und Impfstoff auswählen.
Unsere Empfehlung
Der Tierarzneimittel-Hersteller Ceva beschreibt auf seiner Internetseite, wie ein solcher Erregernachweis durchgeführt werden kann.
Prophylaxe
Haltung und Management optimieren
In unseren Kälbersignalen findest Du einige Anregungen, wie Du durch die Optimierung der Haltung Deine Kälber vor Atemwegserkrankungen schützen kannst.
Impfprogramme
Tierärztinnen und Tierärzte empfehlen, dass Problembetriebe gegen Kälbergrippe impfen.
Damit solche Impfprogramme richtig greifen, musst Du einige Punkte wissen:
Muttertierimpfung
Erkranken in einem Betrieb vor allem sehr junge Kälber, können bereits die Galtkühe geimpft werden. Dies schützt das Kalb allerdings nur bei adäquater Biestmilch-Versorgung.
Fazit
Langfristig wird einem Problembetrieb nur die Optimierung der Tierhaltung und der Hygiene helfen.
Impfungen und Arzneimittel können die Situation nur kurzfristig lindern.
Beratungsartikel
Die Informationen dieser Seite kannst Du Dir auch als pdf herunterladen: «Kälbergrippe – eine Faktorenkrankheit», (Toro 01/2022)
Unsere Empfehlung
Der Rindergesundheitsdienst der Schweiz hat eine problemorientierte Seite zum Vorgehen bei Lungenproblemen aufgeschaltet, die weiterführende Informationen zu den Risikofaktoren, dem Erregernachweis und viel Wissenswertes mehr enthält (auf deutsch).