Warum überhaupt besamt wird
Für viele Landwirte ist es tägliches Geschäft, dass der Besamungsdienst auf den Betrieb kommt und ihre brünstigen Kühe besamt.
Doch wird dieser alltägliche Service zunehmend auch kritisch kommentiert. So äussern sich z.B. vegane Tierrechtler immer mal wieder schimpfend auf der Facebook-Seite von Swissgenetics.
Es ist also Zeit, sich einmal damit zu beschäftigen, weshalb Kühe eigentlich besamt werden.
Seit den 1950ern
Die künstliche Besamung ist keine Erfindung der «industriellen Massentierhaltung».
Bereits in der Nachkriegszeit gab es viele Gründe, die die Entwicklung der Besamung vorantrieben.
Und auch heute gibt es noch genügend Argumente, die fürs Besamen sprechen...
Die Geschichte der Besamung
Schon vor 250 Jahren fanden Versuche zur künstlichen Besamung von Haustieren statt. Der Priester Lazarro Spellanzani besamte eine Hündin.
1960 entstand der SVKB (Schweizerischer Verband für künstliche Besamung). 2004 wurde er zu Swissgenetics.
In den letzten Jahren ermöglichten neue technische Entwicklungen wichtige Fortschritte in der Samenproduktion, z.B. die Trennung der Spermien nach Geschlecht.
Historische Gründe für die Besamung
Riskant im Umgang
Die meisten Stiere standen in den Kuhställen. Sie wurden bis in die 50er Jahre auch als Zugtiere eingesetzt. Alle Rinderrassen hatten das Dreinutzungszuchtziel Milch, Fleisch und Arbeitsleistung. Im täglichen Umgang v.a. mit älteren Stieren kam es dabei immer wieder zu schweren Unfällen.
Unfruchtbarkeit im Natursprung
Ein wirtschaftliches Risiko war die Unfruchtbarkeit des Stiers. Immer mal wieder deckte ein Stier nicht oder die Kühe wurden nicht trächtig. Viele Stiere wurden bereits als Kalb angekauft und es dauerte lange bis eine Unfruchtbarkeit offensichtlich wurde. Der ökonomische Schaden war dann gross.
Keine Nachzuchtprüfung
Der Stier wurde oft geschlachtet, bevor man Informationen über seine Nachkommen hatte. Man setzte ihn max. zwei Deckperioden ein (Vermeidung von Inzucht, Arbeitssicherheit). Der züchterische Wert ergab sich am Stier (Exterieur, Gesundheit, Fruchtbarkeit, Arbeitsleistung) und seinen Eltern.
Die künstliche Besamung früher
Zum 50. Jubiläum von Swissgenetics im Jahr 2010 erinnern sich verschiedene ehemalige Funktionäre und Verantwortliche in einer Toro-Serie an die Zeiten zu Beginn der künstlichen Besamung:
E. Germann, ehem. Direktor SFZ, äusserte sich zur Stierenhaltung von Viehzuchtgenossenschaften und Privateigentümern und den Schwierigkeiten bei der Stierenauswahl: Als es noch keine KB gab (Toro 02/2010)
Dr. Ph. Bachmann, ehem. Leiter der Besamungsstation Pierreabot, schrieb über die Widerstände, die es in den 1940er Jahren gab, und warum sich die sanitarischen Vorteile doch durchsetzten: Der lange Weg zur künstlichen Besamung (Toro 03/2010)
Dr. Ph. Bachmann und Dr. E. Mutter, ehem. Tierärzte beim SVKB, berichtete über die Streitigkeiten und die Umstellung auf tiefgefrorenes Sperma Anfang der 1960er Jahre: Steiniger Start des KB-Verbandes (Toro 04/2010)
Dr. J. Kneubühler, Teamleiter Tierhaltung bei Swissgenetics, blickte auf die technischen Schwierigkeiten zu Beginn Besamung und der Umstellung auf Tiefgerier-Sperma zurück: Vom Frischsamen zum Tiefgefriersamen (Toro 05/2010)
Wandel im Zuchtziel
Die wachsende Verbreitung der Besamung erleichterte und änderte die Ziele in der Rinderzucht.
Die Dreinutzungskuh (Milch, Fleisch, Arbeisleistung) wurde von der Zweinutzungskuh und schliesslich den spezialisierten Milch- und Fleischrassen abgelöst.
Aktuelle Vorteile der künstlichen Besamung
Vieles hat sich seit der Einführung der künstlichen Besamung verändert. Neue Technologien und verbesserte Methoden sichern nicht nur die Qualität der produzierten Samendosen. Sie bringen weitere Vorteile.
Beschleunigter Zuchtfortschritt
Die genomischen Zuchtwerte der Stiere erlauben heute bereits vor dem Besamungseinsatz eine annähernd ähnlich strenge Selektion wie die Nachzuchtprüfung. Das beschleunigt den Zuchtfortschritt.
Genaue Erbfehleranalyse
Die genomische Sequenzierung des Erbguts ermöglicht auch die Entdeckung unbekannter vererbter Krankheiten. Der Zuchtausschluss von Erbfehler-Träger verhindert die Geburt kranker Kälber.
Tiergerechte Stierenhaltung
In modernen Ställen von Besamungsstationen können sich die Stiere frei bewegen, das verbessert ihre Gesundheit und Samenqualität. Wichtiger Aspekt: Die Arbeitssicherheit der Pfleger.
Moderne Samenproduktion
Die Methoden und technischen Möglichkeiten in der Produktion von tiefgefrorenem Sperma verändern sich stetig und steigern den Besamungserfolg.
Trennung nach Geschlecht
Mit gesextem Sperma kann das gewünschte Geschlecht des Kalbs bereits mit der Besamung ausgewählt werden.
Internationaler Austausch
Die gute Transportfähigkeit von tiefgefrorenem Sperma erlaubt einen weltweiten Austausch von Rindergenetik und internationale Partnerschaften.
Zuchtfortschritt
Aus Sicht der Kunden ist die geprüfte, praktisch grenzenlose und international verfügbare Genetikauswahl der wichtigste Grund.
Seuchenhygiene
Aus staatlicher Sicht profitiert die Tierseuchenbekämpfung immer noch von den klar geregelten Anforderungen.
Eine "moderne" Alternative - Der Stier in privater Hand?
Mit der Zunahme von Mutterkuhhaltung aber auch des grösser werdenden Zeitmangel auf Milchviehbetrieben werden heute wieder mehr Stiere in Privathänden gehalten.
Leider passieren immer wieder tragische Unfälle mit ihnen – oft weil sie falsch eingeschätzt werden oder weil die Sicherheitsvorkehrungen auf den landwirtschaftlichen Betrieben nicht stimmen.
Unsere Empfehlung
In einer Dokumentation des Südwest-Rundfunks (D) erzählt ein Landwirt aus dem Schwarzwald eindrücklich, wie er einen Angriff durch seinen Deckstier ganz knapp und schwerstverletzt überlebte.