Die Eihäute bleiben hängen – Nachgeburtsverhalten (Retentio secundinarium)
Die Nachgeburt löst sich nicht
Einen halben Tag nach dem Abkalben haben sich die Eihäute (die Nachgeburt – Plazenta) noch nicht abgelöst oder die Kuh konnte sie nicht aus der Gebärmutter auspressen. Teile davon hängen daher zwischen den Schamlippen der Kuh aus ihrer Scheide.
Ein Nachgeburtsverhalten hat immer eine Vorgeschichte - und oft ein Nachspiel!
Alarm!
Ein Nachgeburtsverhalten ist immer ein Alarmsignal, das Analyse braucht:
Weshalb geht die Nachgeburt nicht ab?
Hat es einen ganz spezifischen Grund wie z.B. eine Zwillingsträchtigkeit oder liegen Managementfehler vor?
Du musst nach den Ursachen vor, während oder direkt nach der Geburt suchen.
Gestörte Galtzeit?
Nur wenn Leber und das Immunsystem der Galtkuh funktionieren, kann sich die Nachgeburt während der letzten Trächtigkeitstage chemisch und enzymatisch von der Gebärmutter lockern und schliesslich ablösen.
Gestörter Geburtsverlauf?
Kräftige Wehen unter einer normalen Geburt lockern die Nachgeburt auch mechanisch. Sobald die Nabelschnur reisst, löst sich die jetzt verkleinerte Oberfläche der Rosen von der Gebärmutter.
Gestörte Nachgeburtsphase?
Die Nachwehen pressen die gelöste Nachgeburt aus der Gebärmutter heraus. Oxytocin, das beim Ablecken des Kalbs und beim Melken der Biestmilch ausgeschüttet wird, verstärkt sie.
Was funktioniert bei Nachgeburtsverhalten nicht?
Der Ablösungsprozess vor der Geburt ist nicht zu Ende oder die Gebärmutter ist zu schwach, die Nachgeburt auszupressen
- bei belasteter Leber und gestörter körpereigener Abwehr
- bei Frühgeburt eines lebenden oder beim Spätabort eines toten Kalbs
- bei übertragener Geburt
- bei Schwergeburt oder falscher Geburtshilfe
- bei infektiösen Ursachen, die die Ablösung stören (früher häufig: Bangsche Krankheit)
- bei Wehenschwäche z.B. von Kühen mit beginnendem Milchfieber
- bei gestressten Kühen während oder kurz nach dem Abkalben
Welche Faktoren entscheiden, dass die Nachgeburt nicht abgeht?
Schnell gesagt: Je kürzer eine Trächtigkeit dauert und je komplizierter die Galtphase und Geburt verlaufen, umso eher bleibt die Nachgeburt hängen.
Natürlich können auch mehrere negative Faktoren zusammenkommen und sich potenzieren.
Hast Du ein Herdenproblem?
Früher waren es oft infektiöse Ursachen (z.B. Bangsche Krankheit), wenn mehrere Kühe im Bestand gleichzeitig betroffen waren. Heutzutage sind Fehler in der Galtfütterung die häufigsten Gründe!
Reduzierte Futteraufnahme – belastete Leber
Schlechter Kuhkomfort
Ein enger Liegeplatz, rutschiger Boden im Laufbereich oder zu wenig Platz im Fressgitter hindern die hochtragenden, oft schwerfälligen, Tiere aufzustehen und zu fressen. Ist es im Galtabteil zu voll, leiden vor allem Rangniedere.
„Typische“ Galtration? - Schlechte Futterqualität
Fade Galt-Ration
Oft erhalten die Galtkühe eher minderwertige Futtermittel, die wenig schmackhaft sind. Sie fressen dann zu wenig. Besser ist es, ihre Fresslust durch qualitativ hochwertige aber energiearme Futtermittel zu erhalten.
Schlechte Futterqualität
Die in der Praxis leider „typische Galtration“ mit Futtermitteln minderer Qualität (z.B. verpilztes Heu, verdreckte (Clostridiengifte!) oder schimmelige Silage) belastet die Leber und führt zu einem sekundären Spurenelementmangel.
Schmutziges Wasser
In dreckigen Tränken bildet sich ein bakterieller Biofilm. Die Kühe trinken zu wenig und nehmen Toxine auf. Eisenhaltiges Wasser aus alten Leitungen fördert das Bakterien-Wachstum und senkt den Spurenelement-Gehalt der Ration.
Schlechte Mineralstoffversorgung – schleichendes Milchfieber
Kalziumreiche Galt-Ration (Ca)
Besonders im Berggebiet enthalten die Grasbestände sehr viel Kalzium. Die Gefahr von (subklinischem) Milchfieber mit Wehenschwäche ist hoch. Aber auch im Talbetrieb: Kalziumtraining und Prophylaxe-Massnahmen minimieren das Risiko.
Mineralstoffmangel (Mg, P)
Damit die Nachgeburt abgeht, muss die Kuh mit Mg- und P-reichen Mineralsalzen versorgt sein. Dazu gibt es spezielle Galt-Mineralstoffe. Die Galtfütterung funktioniert also nur, wenn diese Kühe separiert und speziell gefüttert sind.
Viehsalzversorgung (NaCl)
Auch die Natrium-Versorgung ist ein wichtiger Baustein der Galtfütterung. Kalziumarm füttern heisst nicht am Viehsalz sparen ! Aber Achtung: Sowohl zu wenig als auch zu viel Natrium begünstigt das Nachgeburtsverhalten.
Spurenelementmangel
Die Enzyme der chemischen Ablösung der Nachgeburt enthalten viele Spurenelemente und Vitamine. Es braucht insbesondere Vitamin E und Selen, damit sie richtig funktionieren – ebenso wie Vitamin A, Kobalt, Mangan usw.
Abnormer Trächtigkeits- oder Geburtsverlauf
Zu frühe Geburt
Bei Frühgeburten lebender (z.B. bei Zwillingsträchtigkeiten oder wegen eines Sturzes der Kuh) oder toter Kälber (Spätabort), ist die Nachgeburt oft noch nicht reif genug, um ebenfalls ausgestossen zu werden.
Falsche Geburtshilfe
Die Lockerung der Eihäute dauert einige Wehen und Wehenpausen. Das Kalb darf deshalb unter der Geburt nicht zu schnell aus der Kuh „herausgerissen“ werden. Es braucht Geduld und Gefühl - primär natürlich zur Schonung von Kuh und Kalb.
Schwergeburt
Kühe mit Wehenschwäche oder nach einer Schwergeburt, einem Überwurf oder einem Kaiserschnitt haben oft keine deutlichen Nachwehen. Die Gebärmutter ist zu schwach und kann die Nachgeburt nicht mehr auspressen.
Wie erkennt man, dass die Nachgeburt hängen bleibt?
Meist ist offensichtlich, wenn die Eihäute oder zumindest Teile davon, aus der Scham der frischgekalbten Kuh heraushängen. Manchmal ist allerdings unklar, ob die Nachgeburt abgegangen ist oder nicht, wenn sie z.B. auch vom Spaltenboden „verschluckt“ oder von der Kuh gefressen sein könnte. Im Zweifel sollte die Kuh (möglichst hygienisch!) vaginal untersucht werden.
Das bedeutet:
- sauberer langer Einmalhandschuh
- reichlich Gleitmittel
- jodhaltige Seife zum Waschen der Scham
- Hilfsperson, die den Kuhschwanz zur Seite hält
Vielleicht kannst Du mit Deinem Tierarzt/ Deiner Tierärztin besprechen, wie Du selbst untersuchen kannst, damit wirklich zeitnah "nachgeschaut" wird.
Praxis-Tipp
Notiere unbedingt von jeder Kuh, ob die Nachgeburt gesichert abgegangen ist oder nicht.
Dann weisst Du, ob sie zur Risiko-Gruppe der „Kühe mit gestörter Nachgeburtsphase“ gehört oder nicht.
Warnsignale für Nachgeburtsverhalten
Verdächtig sind Kühe, die nach dem Abkalben Schmerzen im Beckenbereich und nachfolgend einen gestörten Allgemeinzustand zeigen:
- breiter Gang
- aufgezogener Rücken
- anhaltender Pressdrang (abgestellter Schwanz oder Bauchpresse)
- Schwanz schlagen
- in sich Hineinhören
- Schmerzgesicht
- erhöhte Körpertemperatur (> 39.5 °C)
- fauliger Geruch nach einigen Tagen
Folgen von Nachgeburtsverhalten
Ein Viertel der Abgänge von Kühen in den ersten 60 Laktationstagen beginnen mit einem Nachgeburtsverhalten.
Diese Kühe muss man also im Auge behalten !
Denn eine hängengebliebene Nachgeburt ist oft Wegbereiter für schwere Folgekrankheiten.
Typische Folgen sind:
Akute Gebärmutterentzündung
Durch die verfaulende Nachgeburt können Kühe schwer und mit hohem Fieber erkranken. Wegen der Vorgeschichte (Leberprobleme, Milchfieber, geschwächte Gebärmutter etc.), die überhaupt zum Nachgeburtsverhalten geführt hat, sind sie ohnehin krankheitsanfällig.
chron. Gebärmutterentzündung
Häufig „drecken“ Kühe im Anschluss einer gestörten Nachgeburtsphase sichtbar mit eitrigem Ausfluss. Es gibt aber auch einen subklinischen (von aussen nicht erkennbaren) Verlauf: Sie rindern scheinbar grundlos immer wieder um.
Stoffwechselstörung – Ketose
Kühe mit gestörter Nachgeburtsphase sind Risikotiere ! Sie fressen schlecht und rutschen schnell in ein Stoffwechselproblem ab. Eine regelmässige Überwachung der Ketonkörper hilft, hier entgegen zu steuern.
Ziele bei Kühen, deren Nachgeburt nicht abgeht
Die Kühe müssen so gesund als möglich durch die heikle Nachgeburtsphase gebracht werden, damit es nicht zu gravierenden oder langanhaltenden Störungen kommt.
Wichtige Massnahmen sind:
Fieber messen
In den ersten 10 Tagen nach dem Abkalben musst Du die Kuh kontrollieren, ihre Körpertemperatur messen und auch hier rechtzeitig tierärztlich Hilfe holen, wenn sie Fieber (> 39.5 °C) bekommt oder sie nicht mehr frisst.
Praxis-Tipp: Viele Kühe im Bestand, mit Nachgeburtsverhaltung – was tun?
Im Fall eines Herdenproblems müssen unbedingt mögliche Fehler in Fütterung und/oder Geburtshilfe analysiert und beseitig werden:
- Bereits während der Laktation regelmässig BCS bestimmen, um fette Galttiere zu vermeiden.
- Galtkühe im Stall von den Laktierenden separieren - auch in Anbindehaltung.
- Kuhkomfort im Galt-Abteil optimieren.
- Zur Galtfütterung schmackhafte, qualitativ gute aber energiearme Futtermitteln (ca. 5 MJ/NEL) verwenden.
- Transitkühe vor dem Abkalben mit der Ration der Laktierenden anfüttern. Insbesonders fette Kühe!
- Wasserversorgung prüfen. Verschmutzte Tränken säubern. Wasserqualität evt. über Labor-Analysen überprüfen.
- Tägliche Versorgung mit Viehsalz und Ca-armem Mineralfutter sicherstellen, für die Spurenelement-Versorgung entsprechende Boli einsetzen.
- Adäquate Milchfieber-Prophylaxe durchführen (kalziumarme Trockensteher-Fütterung, Vit.D3-Gabe ca. eine Woche vor dem Kalbetermin, Kalziumgabe vor/während/nach dem Abkalben z.B. in Form von Boli)
- zurückhaltende, abwartende Geburtshilfe praktizieren.
- Kuh in ruhiger, stressfreier und hygienischer Geburtsumgebung, z.B. in einer sauberen, frischeingestreuten Abkalbebox, kalben lassen.
Beratungsartikel
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