Der Vorbericht – Die Vorgeschichte erfragen

Zu jeder gründlichen medizinischen Untersuchung gehört das Erfragen der Vorgeschichte (Anamnese).

Unser Erfahrung zeigt, dass sich Berufsanfänger (Besamungstechniker und Besamungstechnikerinnen, aber auch VetStudis) in der Kommunikation mit den Tierbesitzern oft schwertun und den Sinn hinter «dieser Fragerei» nicht immer erkennen.

Wenn der Besamungsdienst die Vorgeschichte einer Kuh kennt, spart das bares Geld. Nur dann können nämlich sinnvolle Entscheidungen getroffen werden. Zwei, drei Fragen an den Tierbesitzer helfen Dir zu erkennen, ob Du es mit einem Problemfall zu tun hast, der weiteres Nachforschen und Untersuchungen braucht oder ob alles ist, wie es sein sollte und die Erfolgsaussichten gut sind.

Besamungstechnikerin Heidi erzählt:

«Wenn ich die Vorgeschichte der Kuh erfrage, bekomme ich oft nützliche Hinweise. Ich kann dem Züchter aufgrund dieser empfehlen, ob die Kuh vielleicht erst später zugelassen werden soll und welchen Samen wir einsetzen».

Um den Kunden gut beraten zu können, ist es wichtig die Fragen frühzeitig zu stellen. Nur dann kann man z.B. eine ausführlichere Voruntersuchung vorschlagen oder den passenden Samen für Problemfälle auswählen. 

Heidi weiss:

«Für Neulinge ist es wichtig, dass sie die Fragen bewusst stellen, bevor sie den Samen auftauen. Wenn bereits aufgetaut wurde, ist es für Fragen zu spät!

Stellt die erste Frage am besten beim Öffnen des Kofferraums.»

Die besten Antworten und den einfachsten Einstieg in ein Gespräch bieten offene Fragen. Diese beginnen mit:

• Warum … ?
• Wie … ?
• Was … ?
• Beschreibe, …

Der Züchter muss auf diese mit einem vollständigen Satz antworten. Ein Gespräch hat begonnen.

Heidi sagt:

«Ich habe mir angewöhnt, auf dem Betrieb gleich nach der Begrüssung eine unkomplizierte Frage zur Kuh zu stellen, zum Beispiel: «Hat sie sich gut gezeigt? Was habt Ihr gesehen?». Meist ergibt sich daraus ein kurzes Gespräch, in dem ich alles erfahre, was ich wissen muss».

Um das Optimum an Informationen zu erhalten, ist es gut immer mit denselben Fragen zu beginnen, zum Beispiel nach den aktuellen Brunstzeichen zu fragen: «Wie stark hat sie sich gezeigt?» - in der Regel ergibt sich danach ein nützliches Gespräch.

Heidi beobachtet:

«Viele Neulinge sprechen mit den Kunden lieber unverfänglich über das Wetter oder die Heuernte als über die zu besamenden Tiere. Das ist ungeschickt. Ihr verpasst wichtige Informationen für Eure Arbeit.» 

Dein eigenes Auftreten und Deine Körpersprache sind wichtige Teile der Kommunikation mit den Kunden. Es soll sich ein Gespräch entwickeln und keine einseitige Kundenbefragung oder ein unangenehmes Verhör geführt werden. 

Heidi rät:

«Wenn ich mit den Händen etwas tun konnte, zum Beispiel den Kofferraum öffnen oder meine Utensilien parat legen, ist es mir am Anfang leichter gefallen, mit den Kunden zu sprechen.

Lasst Euch jedenfalls nicht entmutigen! Traut Euch mit den Kunden zu sprechen – auch wenn mal einer oder eine brummelig ist. Meistens sprechen sie aber gerne über ihre Tiere und freuen sich über dein Interesse.»

Warum interessiert es Dich, ob es eine Erst- oder Nachbesamung ist?

• Bei Verdacht auf Problemtier braucht es weitere Voruntersuchungen
• Hartnäckiges Umrindern braucht weitere Voruntersuchungen 

• «Ist es eine Erstbesamung?»
• «Ist es das erste Mal?»
• «War sie schon öfters besamt?»
• «Wie oft war sie schon besamt?»

Warum interessiert Dich das aktuelle Brunstgeschehen?

• Richtiger Besamungszeitraum
• Deutliche Brunst = besseres Ergebnis
• Bei stiller Brunst: Weitere Voruntersuchung ist nötig. 

«Ist das Tier deutlich stierig?»

«Was hast Du gesehen?»

«Was hat sie gezeigt?»

«Wann ist sie zum ersten Mal aufgefallen?»

«Wann ist sie zum ersten Mal gestanden?»

«Wie ist der Heatindex?» (Bei automatischer Brunsterkennung im Betrieb)

Warum interessiert Dich der Zyklus?

• Regelmässige Brunst = bessere Chancen
• Unregelmässiger Zyklus: Weitere Voruntersuchung sind notwendig

• «Ist sie zum ersten Mal stierig?»
• «Hast Du sie vor drei Wochen schon gesehen?»
• «Hat sie die drei Wochen eingehalten?»
• «Wie war die Brunst vor drei Wochen?»

Bei Erstbesamungen ist der Abstand zur letzten Kalbung interessant, denn:

• Rastzeit < 60 Tage = schlechterer Erfolg
• Lange Rastzeit: Verdacht auf Fruchtbarkeitsstörungen wie Azyklie. Gründe für lange Wartezeit erfragen.

Manchmal ist das Kalbedatum auch offensichtlich notiert, z.B. auf der Stalltafel oder auf der Besamungskarte. 

• «Wann hat sie gekalbt?» 

Warum interessiert, wie die letzte Geburt verlief?

• Kühe nach problemloser Geburt können früher wieder besamt werden.
• Kühe nach Schwergeburt haben generell schlechtere Erfolgschancen.
• Nach Geburtsstörungen sind weitere Untersuchungen notwendig: Hat sich die Gebärmutter bereits wieder erholt? 

• «Wie hat sie gekalb?»
• «Ist bei der letzten Geburt alles gut gegangen?»
• «Hat sie alleine gekalbt?»

Warum interessiert, wie die Tage nach der Geburt verliefen?

• Kühe nach problemloser Geburt können früher wieder besamt werden.
• Kühe, die nach dem Kalben krank waren, haben generell schlechtere Erfolgschancen.
• Nach Nachgeburtsstörungen sind weitere Untersuchungen notwendig: Hat sich die Gebärmutter bereits wieder erholt?

• «Gab es Komplikationen nach der Geburt?»
• «Ist die Nachgeburt abgegangen?»
• «War sie nach dem Kalben fit?»
• «Gibt sie schön Milch von Anfang an?»

Vor allem, wenn die Geburt schon lange zurückliegt, stellt sich die Frage, warum lange gewartet wurde. Warum interessieren gynäkologisch Erkrankungen?

• Kühe mit gynäkologischen Problemen haben generell schlechtere Erfolgschancen.
• Sind die Probleme jetzt behoben?
• Mit einer sanitarischen Überzugshülle kann der Besamungserfolg z.B. nach einer Spiralen-Behandlung oder bei Kühen mit Senkscheiden verbessert werden. 

• «Ist sie sauber?»
• «Wurde sie in irgendeiner Form behandelt?»
• «Hatte sie eine Fruchbtarkeitsbehandlung?»

Die Entscheidung für oder gegen eine Besamung ergibt sich dann aus der Summe der Antworten und dem eigenen Bild, das Du Dir von der Kuh machst. 

Heidi sagt:

Vor allem, wenn die Kuh bei der Betrachtung von aussen  schlecht aussieht, knapp im BCS ist oder die Geburt schon länger zurück liegt, frage ich explizit nach einer Krankengeschichte. In groben Fällen empfehle ich sogar, mit der Besamung lieber noch einen Zyklus zu warten.