Die Herde schützen – Biosicherheit
Den Gesundheitsstatus der eigenen Herde zu sichern, muss ein wichtiges Anliegen jedes Tierhalters sein.
Meist denkt man bei Begriffen wie «Biosicherheit», «Quarantäne» und «Desinfektion» an ansteckende Tierseuchen.
Doch nicht nur vor Krankheiten und Infektionen, die nach dem Tierseuchengesetz als «Tierseuche» gelten, solltest Du durch «geeignete Massnahmen» Deine Tiere schützen. An welche Massnahmen denkst Du dabei?
Externe Biosicherheit
Ansteckende Keime wie Viren und Bakterien können selbst keine grossen Strecken überwinden. Sie brauchen in der Regel einen Transporteur, um von einem Stall zum nächsten zu gelangen. Du musst das Einschleppen von Krankheitserregern in den Betrieb also verhindern.
Die grössten Risiken sind
- Zukauf von Tieren mit unbekanntem Gesundheitsstatus
- Tierkontakte auf Gemeinschaftsweiden / Alpen / Viehschauen
- Indirekte Übertragung durch Stallbesucher (Menschen / Wild- oder Haustiere)
- Einschleppung von Parasiten von der Weide / Alpe
Wichtige Massnahmen für die externe Biosicherheit
Praxis-Tipp
Landwirt Werner erzählt: „Gestern kam mein Nachbar vorbei. Er war am Iglus ausmisten und wollte schnell einen neuen Dichtungsring für seinen Hochdruckreiniger ausleihen. Seiner war gebrochen. Ich habe ihn nicht gleich gehört. Bis er mich gefunden hat, ist er mit seinen dreckigen Stiefeln ungefähr drei Mal durch den ganzen Stall gerannt.“
Praxis-Tipp
Besamungstechniker Simon berichtet: „Auf meiner Besamungstour hängt in jeder dritten Milchkammer ein dreckiges Handtuch. Es ekelt mich jedes Mal, wenn ich an so etwas die Hände abtrocknen muss. Mittlerweile habe ich deshalb ein eigenes Handtuch im Auto, weil das gar so gruusig ist. Auch nicht ganz ideal, ich weiss - aber besser, als dass ich meine Hände ständig an meinem Schurz trockenwische.“
Besamerinnen und Besamer sind immer bestrebt jeden Stall nur mit sauberen Stiefeln, Kleidern und Händen zu betreten und wollen ihn auch genauso wieder verlassen. Die Biosicherheit aller besuchten Betriebe liegt ihnen am Herzen. Durch saubere Hände und Stiefel sichern sie den sanitarischen Schutz jedes Stalls auf der Besamungstour.
Mehr zum Thema "sauber unterwegs" findest Du im gleichnamigen Toro-Artikel (07/2021)
Praxis-Tipp
Landwirt Jakob erzählt: «Auf meiner Weide am Stadtrand finde ich öfters offensichtliche, menschliche Hinterlassenschaften. Bis zu diesem Schreiben, dass bei einer meiner Schlachtkühe Bandwurmfinnen gefunden worden waren, fand ich das zwar gruusig, machte ich mir dazu aber keine weiteren Gedanken. Seitdem sehe ich diese Sauerei ganz anders: Im schlimmsten Fall kann mir ein ganzer Schlachttierkörper deswegen genussuntauglich gestempelt werden».
Als alle öffentlichen Toiletten und Restaurants wegen Corona geschlossen waren, gab es menschliche Spuren in der Natur noch viel häufiger – oft auf Wiesen und Weiden entlang von Wanderwegen. Leider kann der betroffene Landwirt gegen solche Hinterlassenschaften nur wenig tun. Eventuell klären Gespräche oder Plakate die Spaziergänger auf: «Das ist kein öffentliches WC. Menschlicher Kot kann Kühe krank machen.» Auch unser Beratungsartikel «Wenn der Mensch die Kuh ansteckt» (pdf) eignet sich als Aufklärungsmaterial zum Thema menschliche Fäkalien und kranke Kühe.
Interne Biosicherheit
Die direkte Weiterverbreitung von Krankheitserregern im eigenen Betrieb geht durch den engen Tier-zu-Tier-Kontakt besonders schnell.
Eine indirekte Übertragung geschieht über sogenannte Vektoren.
Häufige Vektoren sind
- Stallpersonal
- Tierarzt, Klauenpfleger und Besamungsdienst
- Stallgeräte oder Behandlungsinstrumente
- Natursprungstiere
- Fahrzeuge
- Nager (Mäuse, Ratten) Vögel oder der Hofhund
- Fliegen
- Futter und Wasser
Wichtige Einrichtungen für die interne Biosicherheit
An schmutzigen Händen und an getragener Kleidung haften häufig Erreger.
Sie werden so über den Vektor «Mensch» von Tier zu Tier übertragen werden. Eigene Sauberkeit und Hygiene beugt solchen Ansteckungen vor.
Ein typisches Beispiel ist die Übertragung euterassoziierter Mastitiserreger über die Hände des Melkers von einer Kuh zur anderen.
Praxis-Tipp
Tierärztin Christine erzählt: „Letzte Woche, Montag, hatte ich einen typischen Fall von Geburtshilfe während der Siloernte! Der Landwirt schickte mir seinen Stift zur Unterstützung. Der hatte gerade zuvor die Zapfwelle vom Ladewagen angehängt und seine Finger sahen entsprechend aus. Bevor der mir nur einen einzigen Kälberstrick anfasste, ging der zum Händewaschen – so nicht !“
Einweghandschuhe verwenden
Durch Einweghandschuhe senkst Du das Risiko einer Keimübertragung über die Hände.
Denn Gummihandschuhe haben weniger tiefe Poren, in denen sich Keime festsetzen können, als die Haut an den Händen.
Schliesslich schützen Einmalhandschuhe auch die eigene Gesundheit, wenn es sich um sogenannte Zoonose-Erreger handelt.
Besonders kritische Bereiche
Kennst Du die Paradiese für Bakterien und andere Keime auf Deinem Betrieb?
Die Liegeboxen
Der permanente Eintrag von feuchtem Schmutz aus dem Laufgang in die Liegeboxen, sind ein Risiko nicht nur für die Eutergesundheit. Ständig feuchte Haut im Klauenbereich fördert ausserdem Panaritien (Grippeli) und Mortellaro. Ein trockener Laufbereich und gepflegte Liegeboxen verhindern dies.
Der Kälberstall
Schmierige Durchfallreste in der Kälberbox bieten Bakterien gute Bedingungen. Kommen neue Jungtiere mit einem schwachen Abwehrsystem in diese verseuchte Umgebung, haben die Erreger leichtes Spiel. Ein Rein-Raus-Verfahren mit gründlicher Reinigung unterbricht die Infektionskette.
Die Kuhbürste
Hauterkrankungen werden z.T. von Milben oder Flechtenpilzen hervorgerufen. Alle Gegenstände, die mit veränderten Hautbezirken in Kontakt waren, sind potenzielle Vektoren. Bei Hautinfektionen im Bestand sollte die Kuhbürste daher abgehängt werden.
Der Misthaufen
Häufig werde Abortmaterial oder Nachgeburten über den Misthaufen oder das Gülleloch entsorgt. Für Hunde (insbesondere den eigenen Hofhund) ist das eine «Delikatesse». Es entsteht eine Infektionskette, z.B. für Neosporose. Solche Abfälle gehören in die Kadaververwertung – und Hunde nicht in den Stall.
Fliegen als Überträger
Die Vektoren-Rolle von Fliegen und Stechmücken darf nicht unterschätzt werden. Eine gezielte Fliegenbekämpfung ist hinsichtlich der Herdengesundheit sinnvoll. Kritisch sind die Insekten insbesondere in diesen Zusammenhängen:
Fliegen an der Zitze
Wenn die Fliegen im Sommer nach Abnahme des Melkzeugs von den kleinen Milchtröpfchen an der Zitzenspitze angelockt werden, übertragen sie Mastitiserreger von einem Euter zum anderen. Dippen der Zitzen mit Desinfektionslösung verhindert dies.
Fliegen am Galteuter
Die Erreger der «Sommer- oder Färsenmastitis» (Trueperella pyogenes – formerly known as Actinomyces pyogenes) werden ebenfalls von Fliegen von Euter zu Euter übertragen. Eintrittspforte sind die Zitzenspitze oder Stiche in die Zitzenhaut.
Fliegen am Auge
Fliegen können Augeninfektionen wie Pink-Eye (Weidekeratitis, IKB) übertragen. Es braucht aber eine Vorschädigung bzw. Verletzung der Hornhaut, damit die Erreger (Moraxella bovis) das Auge befallen können.
Fliegen und Viren
Stechmücken (z.B. Gnitzen) übertragen Virusinfektionen wie die Blauzungenkrankheit oder das Schmallenbergvirus. Die mildere Witterung ermöglicht die Überwinterung ursprünglich südeuropäischer Mücken. Dadurch werde solche «exotische» Krankheiten zukünftig wohl zunehmen.
Fliegen bekämpfen
Kälberboxen sind die besten Brutstätten für Fliegen, weil ihre Larven dort Mist und Milchreste vorfinden. Bei mehr als 20 Fliegen auf einem Kalb ist eine Grenze überschritten - Fliegenbekämpfung ist dringend!
Beratungsartikel
Weitere Informationen zur effektiven Fliegenbekämpfung findest Du im Beratungsartikel «Flugverbot im Frühling», Toro 04/2012
Reinigung
Biosicherheit heisst nicht nur Deinen Bestand vor neuen Keimen zu schützen und deren Übertragungen zu verhindern. Bereits vorhandene Erreger gehören bekämpft. Dies gelingt durch Reinigen und Desinfizieren. Dadurch entziehst Du den Erregern die Lebensgrundlage und reduzierst ihre Anzahl. Alleine durch eine Reinigung mit Wasser und Seife lässt sich die Zahl der Keime auf einer Oberfläche um bis zu 90% verringern.
Desinfektion
In sensiblen Bereichen oder bei hohem Infektionsdruck ist in eine zusätzliche Desinfektion nötig. Werden Schmutz und Beläge allerdings vorgängig nicht restlos entfernt, kann eine Desinfektion nicht wirken: Schmutz lässt sich nicht desinfizieren! Beachte unbedingt alle Herstellerangaben – auch bezüglich des Arbeitsschutzes.
Checkliste und Beratungsartikel
In der «Checkliste Reinigung und Desinfektion» haben wir für Dich zusammengefasst, wie «richtig sauber machen» funktioniert.
Informationen zum Thema Biosicherheit bietet auch unser Beratungsartikel «Kuhstall oder Saustall», Toro 06/2015
Unsere Empfehlung
Verschiedene Organisationen im In- und Ausland haben nützliche Merkblätter für Massnahmen zur externen und internen Biosicherheit veröffentlicht. Du kannst sie als pdfs herunterladen.
- Gesunde Nutztiere (Kurzleitfaden zur Biosicherheit in der Nutztierhaltung inkl. e-learning, SGD und RGD - CH)
- Ihr Wissen wächst – Biosicherheit Rind (Ländliches Fortbildungsinstitut LFi – Ö)
Kuhsignale
Der Umkehr-Schluss
Diese Kuhsignale sind auch Alarmzeichen, dass etwas mit der Biosicherheit auf Deinem Betrieb nicht stimmt:
Unsere Beratungsartikel im Themenbereich
Im Toro haben wir bereits verschiedene Beratungsartikel zu folgenden Themen veröffentlicht. Du kannst Dir diese als pdf downloaden.
Infektionskrankheiten von Haut, Klauen und Augen
- «Diese rosa Brille schmerzt» zur Sommerkeratitis, Toro 05/2014
- «Mortellaro: Ohne Fleiss kein Preis», Toro 01/2021
- «Typisch Panaritium: plötzlich lahm im Sommer», Toro 06/2011
Infektionskrankheiten, die Aborte auslösen
- «Auf der Zielgeraden» - Die Ausrottung der BVD ist in der Schweiz fast geglückt, Toro 08/2021
- «Im Zweifelsfall gilt Stallverbot» zu Coxiellose/Q-Fieber, Toro 06/2019
- «Neosporose-Aborte, häufiger als gedacht», Toro 06/2018
- «Welche Rolle spielt Hundekot bei Aborten?», Toro 08/2005
Infektionskrankheiten durch Parasiten
- «Sommerzeit ist Zeckenzeit», Toro 05/2022
- «Sarkosporidien: selten aber krass», Toro 04/2021
- «Ein unglaublicher Zyklus» zum kleinen Leberegel, Toro 06/2017
- «Dem grossen Leberegel auf der Spur», Toro 02/2006
- «Wenn’s juckt und beisst im Winter» zur Räude, Toro 10/2011
- «Hauptsaison für Lungenwürmer», Toro 05/2011
- «Und wieder lauern die Weideparasiten», zu Magen-Darm-Würmern, Toro 04/2007
Infektionskrankheiten, die auf Menschen übertragbar sind
- «Im Zweifelsfall gilt Stallverbot» zu Coxiellose/Q-Fieber, Toro 06/2019
- «In Socken durch den Stall» zur Para-Tuberkulose, Toro 10/2015
Vergiftungen